Damnatio memoriae im aktuellen Tagesgeschehen

Ein Artikel in der New York Times vom 14. Mai dieses Jahres greift einmal wieder aus aktuellem Anlass ein Thema auf, an dem ich seit einigen Jahren nicht als Historiker, sondern als Verleger und Setzer arbeite, nämlich dem Phänomen des erzwungenen Endes von positiver Erinnerung, der »Verdammung der Erinnerung«. Die Römer nannten das »memoria damnata« oder »abolitio nominis«; der in der Forschung und in den Medien verwendete Ausdruck der »damnatio memoriae«, der Verdammung der Erinnerung, ist hingegen ein moderner Audruck, der zwar das Gleiche bedeutet, von den Römern aber nicht verwendet wurde.

Anlaß für den Artikel in der New York Times (von Sarah E. Bond) war ein Bericht von USA Today vom 21.04.2011 (von Douglas Stanglin, USA TODAY) über die richterliche Anordnung eines Kairoer Gerichts, dass neben allen Bildern und Darstellungen der Mubarak-Familie im öffentlichen Raum ebenfalls alle an die Familie Mubarak angelehnten Titulationen ägyptischer öffentlicher Einrichtungen umbenannt werden müsse; d. h. jede Kaserne, jede Schule, jedes Museum, jede Sportstätte, jedes öffentliche Gebäude verlor seinen Namen, wenn dieser eindeutig der Familie des letzten diktatorisch herrschenden Präsidenten zugeordnet werden konnte: »… (shall) be removed from all ‹public squares, streets, libraries and other public institutions around the country›«. Ziel sei es, die vordergründige, offensichtliche, im Straßenbild jederzeit gegenwärtige Erinnerung an Hosni Mubarak auszulöschen. Nichts soll mehr an ihn und seine Familie im öffentlichen Raum erinnern, wenn dies überhaupt möglich ist angesichts der langen Regierungszeit (seit 1981).

Wichtig ist hier, dass die vordergründige Erinnerung gelöscht werden soll, mithin also per Anordnung die öffentliche DEL-Taste gedrückt wird – was nicht heißt, dass Mubarak, seine Regierung, seine Gewaltherrschaft, gestützt auf Familie, Supporters und das Militär von jetzt auf gleich aus der Erinnerung der ägyptischen, arabischen oder der Weltbevölkerung getilgt werden kann. Jedes persönliche Erlebnis mit dem Staatspräsidenten, jede präsidiale Entscheidung, die das Leben einer ägyptischen Familie geprägt hatte, kann eben nicht mit der DEL-Taste vergessen werden. Das öffentliche Vergessen, dem der Präsident und seine Familie anheim fallen sollen, beeinflusst nicht sofort die persönliche Entscheidung, Hosni Mubarak zu vergessen.

Ohne dass ich jetzt an dieser Stelle einen historischen Abriß der Geschichte der »damnatio memoriae« wiederholen möchte oder länger zurückliegende Fälle von »damnationes memoriae« aufzulisten versucht bin – dazu sei an den Beitrag in der NYT oder den lesenswerten Beitrag in der deutschen (oder in der englischen) Version der Wikipedia verwiesen –, lassen sich in den letzten Jahren verstärkt ein solches Verhalten der »Sieger« erkennen. Da sei an die schnelle Seebestattung Osama bin Ladens in der jüngsten Vergangenheit erinnert, um den Sympathisanten keinen Ort der Erinnerung und des Gedenkens zu ermöglichen, oder an den bildhaften Sturz der massiven Statue Saddam Husseins (09.04.2003, Quelle: AF News). Andere Beispiele seien die Zerstörung von Stalin-Statuen in Budapest Ende Oktober 1956 (Quelle: http://www.freedomagenda.com;) oder auch die Säuberung von Gemälden, auf denen Stalin dargestellt war, oder Retuschierungen in Fotografien, auf denen Personen eliminiert wurden, die den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen waren.

In Baghdad im April 2003

Weitere Reaktionen auf den Beitrag von Sarah E. Bond:
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Wird zu gegebener Zeit fortgesetzt