K… und K… – Nach Kalkriese nun Kalefeld

Am 11.01.2012 fand die angekündigte Pressekonferenz im Landesamt für Denkmalpflege in Hannover statt. Dort wurden endlich die wichtigsten Funde der Grabungen am Harzhorn bei Kalefeld, unmittelbar an der BAB 7 (Göttingen-Hannover; nahe Lat. 51.83599, Long. 10.091572; Karte bei Welt online, Landschaftsfoto bei Welt online), vorgestellt.

Zur Vorgeschichte: 2000 wurde von Privatpersonen bei der Recherche zu mittelalterlichen Burgbauten am Harzhorn eine antike Speespitze gefunden; erst acht Jahre später, nach einer erneuten Observierung des Geländes und weiteren Funden konnte von Mitarbeitern der Kreisarchäologie auch eine römische Hipposandale, ein metallner Schuh für Pferde im Militäreinsatz, identifiziert werden. Spätestens jetzt war klar: hier musste etwas Bedeutsames versteckt sein, am Harzhorn muss es zu einem historischen Ereignis gekommen sein, das bisher noch niemandem aufgefallen war. Römische Militärausstattung so weit nordöstlich vom Limes und dazu noch deutlich nach dem 1. Jahrhundert n. Chr. ließ Spekulationen in die Medienlandschaft wachsen.

Seit letzter Woche ist nun klar: um die Funde am Harzhorn handelt es sich um die Zeugnisse einer der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Germanen und Römern im 3. Jahrhundert n. Chr., zu einer Zeit also, als man die Römer nicht mehr so weit im freien Grermanien vermuten durfte. Das wohl bedeutendste Zeugnis ist eine dolabra, eine Militärspitzhacke/Militäraxt zu Schanzungsarbeiten, die im Notfall auch als Kampfwaffe Verwendung finden konnte. Auf der Axt lässt sich die Eigentumsangabe: LEG IIII für Legio quarta erkennen; der Rest der Inschrift ist momentan noch schwer zu erkennen und zu lesen. Die Zahlenangabe IIII statt IV (wie es heute noch in Schulen und Universitäten gelernt wird) ist keine sonderliche Ausnahme, sondern der Normalfall in der fortgeschrittenen römischen Kaiserzeit.

Die Axt lässt sich entweder der Legio IIII Flavia Felix, damals stationiert in der Nähe des heutigen Belgrad (Serbien), oder der Legio IIII Italica zuweisen; Mitglieder der IIII Flavia Felix starben im syrischen Cyrrhus (in einem Partherkrieg der Severer im 3. Jh. oder in einer Auseinandersetzung gegen die Sasaniden), sind aber auch im römischen Speyer nachgewiesen (CIL 13, Nr. 6104/ILS 2310): D(is) M(anibus) / Aur(elio) Vitali / mil(iti) leg(ionis) IIII Fl(aviae) / stip(endiorum) VII vixit / an(nos) XXV agens / expeditione / Germaniae Fl/avius Proc(u)l/us mil(es) leg(ionis) s(upra) s(criptae) / secundus he/res contuber/nali bene mer/e[nti] f(aciendum) c(uravit).
Eine moderne, sinngemäße Übersetzung kann lauten: Den Totengöttern. Dem Aurelius Vitalis, Soldat der Legio IIII Flavia, im siebten Dienstjahr, der 25 Jahre lebte, Teilnehmer der Expedition gegen Germanien. Flavius Proculus, Soldat der selben Legio, sein (Nach-)Erbe, sorgte (für diesen Grabstein) für seinen Zeltgenossen zur wohlgemeinten Erinnerung.

Weitere Funde aus dem Bereich des Harzhornes (Münzen, Pfeil- und Speerspitzen, darunter auch eine germanische Lanzenspitze, Torsionsmunition) legen eine Datierung auf 235 n. Chr. nahe, dem Jahr, in dem Maximinus Thrax, der erste der sog. Soldatenkaiser, als Nachfolger des auf seinen Befehl in Mainz ermordeten Kaisers Severus Alexander den geplanten Germanien-Feldzug durchführte. Münzen des Severus Alexander (geprägt 228 n. Chr.) und die üblichen C14-Probenuntersuchungen belegen diese Jahreszahl.

Auf dem Rückweg muss es dann beim Harzhorn zu einem der heftigsten Kämpfe gekommen sein, die die Römer nach 9 n. Chr (Kalkriese) und den Rachefeldzügen des Germanicus (14–16 n. Chr.); während wir in Kalkriese, dem Waterloo der römischen 17., 18. und 19. Legion unter Varus, enorme Mengen an Trossfunden verzeichnet finden, sind am Harzhorn bisher nur römische Waffenfunde nachgewiesen. Es liegt hier nahe, einen römischen Sieg zu erwarten, zumal Maximinus Thrax erst Jahre später den Tod in Aquileia erlitt – eine Niederlage in Germanien hätte ihm schon damals zum Nachteil werden können.

Weitere Links:
http://adrianmurdoch.typepad.com/my_weblog/2012/01/legion-iiii-present-at-battlefield-at-kalefeld.html
http://adrianmurdoch.typepad.com/my_weblog/2012/01/legion-iiii-present-at-battlefield-at-kalefeld-redux.html
http://www.welt.de/kultur/article2881449/Hier-metzelten-Roemer-die-Germanen-nieder.html
http://www.welt.de/kultur/history/article13801873/Roms-vierte-Legion-fuehrte-Krieg-in-Germanien.html
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/harz/harzhorn127.html
http://www.ndr.de/kultur/kunst_und_ausstellungen/kjharzhorn102.html

Harzhorn bei Kalefeld:
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/schlachtfeld102_v-contentgross.jpg (Topographie; © dpa, Fotograf: Stefan Rampfel)
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/kalefeld102_v-contentgross.jpg (Speerspitze; © AP, Fotograf: Jörg Sarbach).

Einladung des Landesdenkmalamtes:
http://www.denkmalpflege.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=28589&article_id=101968&_psmand=45

Projektseite: Römerschlacht am Harzhorn – Roms vergessener Feldzug:
http://www.roemerschlachtamharzhorn.de/

Nachtrag (06.04.2012)

Siehe dazu nun (06.04.2012) den Artikel im Blog »Bread and Circuses« von Adrian Murdoch http://adrianmurdoch.typepad.com/my_weblog/2012/03/roman-camp-in-reinhardswald.html; 30.03.2012) und im HNA vom 29.03.2012 (http://www.hna.de/nachrichten/kreis-kassel/hofgeismar/roemerlager-reinhardswald-2258770.html.

Nachtrag (04.10.2012)

Am 1. September 2013 (bis 19. Januar 2014) werden nun die Funde und ihre Einbettung in die römische Geschichte des nicht besetzten Germaniens im 3. Jh. n. Chr. in einer opulenten Ausstellung im Landesmuseum Braunschweig gezeigt. Näheres kann den Informationen des NDR und des Landesmuseums Braunschweig entnommen werden.

Nachtrag (25.11.2012)

Jetzt kommt es auch zum Re-Enactment der Schlacht am Harzhorn, zumindest aber zum archäologischen Experiment der Torsionsgeschütze, die Thema einer Abschlussarbeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Burkhard Meißner (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg; Universität der Bundeswehr) war. Der NDR stellte am 24.11.2012 eine kurze filmische Sequenz bereit.

Neuerscheinungen 2012/2

Nun ist es geschafft. Das 15. Buch in meinem Verlag ist erschienen. Dabei handelt es sich um ein Bautagebuch des Nachbaus eines frühkaiserzeitlichen Patrouillenschiffes aus der Hand der beteiligten Bootsbauerin Carolin Gross, dessen Vorlage noch im alten Jahrtausend im bayerischen Oberstimm (1994) gefunden worden ist und seitdem die experimentelle Archäologie, die nautische Archäologie, die Alte Geschichte und viele Bootsbauer-Fachleute beschäftigt.

Anlässlich des Jubiläums zur 2000. Wiederkehr der Schlacht im Teutoburger Wald (2009) hatten 2007/2008 Hamburger Althistoriker und Bootsbaulehrlinge den gelungenen Versuch unternommen, dieses Schiff aus Oberstimm, das nur noch in Bruchstücken aus dem Boden geborgen werden konnte, nachzubauen und ausführlichen Tests auf Seen und Flüssen in Deutschland zu unterziehen.

Während die Regensburger Althistoriker ein spätantikes, militärisch genutztes Fluss-Schiff erfolgreich nachgebaut und benutzt haben, wurde die Victoria, so ihr Name, in einer Hamburger Werft von Bootsbau-Auszubildenden und Wissenschaftler nach der frühkaiserzeitlichen Vorlage rekonstruiert. Damit konnte neben neuen Ideen und Bau-Korrekturen (im Vergleich zur Regensburger Lusoria) ein Schiff entstehen, das ungefähr 300 Jahre früher als die Lusoria von den Römern auf den Gewässern in den Provinzen verwendet wurde.

Seitdem hat die »Victoria« ihren Heimathafen auf dem See im westfälischen Haltern, nahe am Römermuseum und dem römischen Legionslager gefunden, wenn sie nicht auf deutschen Flüssen und Seen unterwegs ist.

 

Marathon – eine Podcast-Serie

Nach traditionellem Datum fand heute vor 2500 Jahren die Schlacht bei Marathon zwischen einem Teil der Griechen unter der Führung Athens und dem persischen Expeditionsheeres des Dareios statt. Tausende Seiten wurden über dieses Ereignis geschrieben. Der möglicherweise nur regional bedeutsame Kampf einer griechischen Mittelmacht gegen einen anscheinend übermächtigen Feind, den man zudem noch herausgefordert hatte, wird seit seinem Ausgang als Kampf »West gegen Ost«, »Zivilisation gegen Despotie«, »Demokratie geGrabhügel der Athener in Marathongen Monarchie« gedeutet und verklärt.

Man steigert sich dabei gerne auch in einen in meinen Augen relativ ergebnislosen Vergleich, was wäre passiert, wenn die Perser, die in der Ebene von Marathon auf einen zahlenmäßig schwächeren Gegner gestoßen sind, siegreich geblieben wären. Wäre bei einem für Dareios siegreichen Ausgang die europäische Geschichte anders verlaufen? Hätte die Entwicklung seit dem 12. September 490 v. Chr. einen anderen als den bekannten Verlauf nehmen können? Wir wissen es nicht, wir werden es nie erfahren.

Dem Ereignis, das in der heutigen Tagespresse relativ unbekannt ist, widmen sich seit nunmehr fast einem Jahr bekannte Altertumswissenschaftler um Paul Cartledge (A.G. Leventis Chair of Greek Culture, Cambridge, UK) in einer Vortragsreihe, die über das WWW jederzeit abrufbar ist. Unter www.marathon2500.org sind (fast) alle Beiträge als Podcast erreichbar; die Vortragsreihe schließt nun mit dem Vortrag von Paul Cartledge am 21.09.2011 (01:00 Uhr New York Zeit):

The Context and Meaning of the Battle of Marathon: Why we have been celebrating the 2,500 year anniversary, by Paul Cartledge

Anschließend wird öffentlich und direkt diskutiert »… Brief lecture and then Q&A with listeners from all over the world«. Trotz der für Europäer gewöhnungsbedürftigen Zeit verspricht dieser Vortrag mit anschließender Diskussion ein besonderer Höhepunkt der Reihe zu werden.

Das komplette Programm finden Sie hier.

Damnatio memoriae im aktuellen Tagesgeschehen

Ein Artikel in der New York Times vom 14. Mai dieses Jahres greift einmal wieder aus aktuellem Anlass ein Thema auf, an dem ich seit einigen Jahren nicht als Historiker, sondern als Verleger und Setzer arbeite, nämlich dem Phänomen des erzwungenen Endes von positiver Erinnerung, der »Verdammung der Erinnerung«. Die Römer nannten das »memoria damnata« oder »abolitio nominis«; der in der Forschung und in den Medien verwendete Ausdruck der »damnatio memoriae«, der Verdammung der Erinnerung, ist hingegen ein moderner Audruck, der zwar das Gleiche bedeutet, von den Römern aber nicht verwendet wurde.

Anlaß für den Artikel in der New York Times (von Sarah E. Bond) war ein Bericht von USA Today vom 21.04.2011 (von Douglas Stanglin, USA TODAY) über die richterliche Anordnung eines Kairoer Gerichts, dass neben allen Bildern und Darstellungen der Mubarak-Familie im öffentlichen Raum ebenfalls alle an die Familie Mubarak angelehnten Titulationen ägyptischer öffentlicher Einrichtungen umbenannt werden müsse; d. h. jede Kaserne, jede Schule, jedes Museum, jede Sportstätte, jedes öffentliche Gebäude verlor seinen Namen, wenn dieser eindeutig der Familie des letzten diktatorisch herrschenden Präsidenten zugeordnet werden konnte: »… (shall) be removed from all ‹public squares, streets, libraries and other public institutions around the country›«. Ziel sei es, die vordergründige, offensichtliche, im Straßenbild jederzeit gegenwärtige Erinnerung an Hosni Mubarak auszulöschen. Nichts soll mehr an ihn und seine Familie im öffentlichen Raum erinnern, wenn dies überhaupt möglich ist angesichts der langen Regierungszeit (seit 1981).

Wichtig ist hier, dass die vordergründige Erinnerung gelöscht werden soll, mithin also per Anordnung die öffentliche DEL-Taste gedrückt wird – was nicht heißt, dass Mubarak, seine Regierung, seine Gewaltherrschaft, gestützt auf Familie, Supporters und das Militär von jetzt auf gleich aus der Erinnerung der ägyptischen, arabischen oder der Weltbevölkerung getilgt werden kann. Jedes persönliche Erlebnis mit dem Staatspräsidenten, jede präsidiale Entscheidung, die das Leben einer ägyptischen Familie geprägt hatte, kann eben nicht mit der DEL-Taste vergessen werden. Das öffentliche Vergessen, dem der Präsident und seine Familie anheim fallen sollen, beeinflusst nicht sofort die persönliche Entscheidung, Hosni Mubarak zu vergessen.

Ohne dass ich jetzt an dieser Stelle einen historischen Abriß der Geschichte der »damnatio memoriae« wiederholen möchte oder länger zurückliegende Fälle von »damnationes memoriae« aufzulisten versucht bin – dazu sei an den Beitrag in der NYT oder den lesenswerten Beitrag in der deutschen (oder in der englischen) Version der Wikipedia verwiesen –, lassen sich in den letzten Jahren verstärkt ein solches Verhalten der »Sieger« erkennen. Da sei an die schnelle Seebestattung Osama bin Ladens in der jüngsten Vergangenheit erinnert, um den Sympathisanten keinen Ort der Erinnerung und des Gedenkens zu ermöglichen, oder an den bildhaften Sturz der massiven Statue Saddam Husseins (09.04.2003, Quelle: AF News). Andere Beispiele seien die Zerstörung von Stalin-Statuen in Budapest Ende Oktober 1956 (Quelle: http://www.freedomagenda.com;) oder auch die Säuberung von Gemälden, auf denen Stalin dargestellt war, oder Retuschierungen in Fotografien, auf denen Personen eliminiert wurden, die den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen waren.

In Baghdad im April 2003

Weitere Reaktionen auf den Beitrag von Sarah E. Bond:
Powered By Osteons. A Bone Girl Blog
: http://killgrove.blogspot.com/2011/05/damnatio-memoriae-from-antiquity-to.html

Wird zu gegebener Zeit fortgesetzt