Die Marathon-Inschrift

Im Jahr 2000 wurde bei Sondierungsarbeiten in einem römischen Villenkomplex aus dem 2. Jh. n. Chr., der nach übereinstimmender Meinung dem Herodes Atticus als Besitz zugewiesen wurde, eine marmorne orthogonale Stele, bekrönt mit einem sog. lesbischen Kymation, gefunden, auf der neben einer Liste von erkennbar 22 Männern auch der Grund überliefert wurde, warum ihre Namen auf dieser Stele notiert worden ist: es sind die im Kampf gegen die Meder (also: Perser) gefallenen Bürger, die dem Demos Erechtheis angehört hatten.

Sprache, Schrift und verwendetes Alphabet, dazu auch die Textinformationen verweisen sehr schnell auf das herausragende Ereignis im Laufe der Perserkriege als Hintergrund für die Gefallenenliste: die Schlacht von Marathon, die sich in diesem Jahr irgendwann im August oder September zum 2500sten Mal jährt.

Die Marathon-Inschrift (Text: SEG LVI [2006], 2010, 430; vgl. SEG 55, 413; dazu zwei nicht weiter zuweisbare Fragmente, wohl Teile einer oder mehrerer Stelen: SEG 56, 431 und 432)

Text Übersetzung

Ἐ     ρ     ε     χ     θ     ε     ΐ     [ς]

Φêμις ἄρ᾽ | hος κιχ[άν]< ει> αἰεὶ εὐφαõς hέσσχατα γαί[ες]
τõνδ᾽ ἀνδρõν ἀρετὲν πεύσεται hος ἔθανον
[μ]αρνάμενοι Μέδοισι καὶ ἐσστεφάνοσαν Ἀθένας
[π]αυρότεροι πολλõν δεχσάμενοι πόλεμον

Δρακοντιδες
Ἀντιφõν
Ἀφσέφες
Χσένον
Γλαυκιάδες
Τιμόχσενος
Θέογνις
Διόδορος
Εὐχσίας
Εὐφρονιάδες
Εὐκτέμον
Καλλίας
Ἀντίας
Τόλμις
Θοκυδίδες
Δῖος
Ἀμυνόμαχος
Λεπτίνες
Αἰσχραῖος
Πέρον
Φαο[δ]ρίας
[- – – – – – – -]

Erechtheis

Die Nachricht, als sie die äußersten Grenzen der immer hellen Erde berührte,
soll lehren den Opfermut der Männer: wie sie starben
in dem Kampf gegen die Meder, und wie sie Athen bekränzten,
die wenigen, die den Kampf gegen viele wagten.

Drakontides
Antiphon
Aphsephes
Xenon
Glaukiades
Timoxenos
Theognis
Diodoros
Euxias
Euphroniades
Euktemon
Kallias
Antias
Tolmis
Thokydides
Dios
Amynomachos
Leptines
Aischraios
Peron
Phao[d]rias
[- – – – – – – – -]

 

Die Übersetzung ins Deutsche, trocken und wenig geschmeidig, stammt von mir. Der Anlautverlauf (sog. lenis) lässt sich leider nicht befriedigend in HTML (und WordPress) darstellen. Der Lenis ist bei den Personennamen, die mit einem Vokal, aber nicht mit einem Doppelvokal beginnen, vor dem Vokal zu lesen.

Ein Foto und eine Umzeichnung der Inschrift findet sich in der Präsentation von John Marincola: "Epilogue: What Happened After the Battle of Marathon" – Marathon2500 Lecture no. 8, auf http://readingodyssey.com/professor-john-marincola-marathon2500-lecture.

Bisher ist die Inschrift teilweise mit, teilweise ohne Fotos (ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Liste) erwähnt worden:

  • http://chronique.efa.gr/index.php/fiches/voir/904/
  • http://surprisedbytime.blogspot.com/2009/06/missing-acropolis-marble.html
  • http://surprisedbytime.blogspot.com/2011/04/marathon-stone.html
  • http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/the_tls/article7172938.ece (Peter Thonemann, Oxford)
  • http://flinterm.home.xs4all.nl/Vakantie-in-Kynouria.html
  • http://blogs.wabash.edu/accents/2010/10/27/the-battle-of-marathon/
  • http://www.chs-fellows.org/blog/philosophy/gleaned-from-the-latest-supplementum-epigraphicum-graecum/ (Nikolaos Papazarkadas, Univ. of California at Berkeley)
  • http://rambambashi.wordpress.com/2010/09/12/marathon-again/
  • http://www.sparta.markoulakispublications.org.uk/index.php?id=259

Zum Komplex »Marathon. Ort, Schlacht und Mythos«:

  • http://www.marathon2500.org/

Papyrologie von der Straße?

Nachdem in den Geisteswissenschaften in den letzten Wochen Buchprojekte, die sich über Crowdfounding realisieren sollen, immer mehr Beachtung finden, hat nun die Papyrologie der Oxford University eine neue Facette, und dies nicht einmal ohne reale Erfolgschance, in die Wissenschaftswelt geworfen: ancientlives.org

Es geht um folgende Aufgabe: mangels ausreichender finanzieller Ausstattung haben die Papyrologen der Oxford University die bisher noch unveröffentlichten und (nicht erkannten) Papyri, die zum Ende des 19. Jahrhunderts und danach im ägyptischen Oxyrhynchos gefunden wurden, in einem Online-Projekt ins Netz gestellt und bieten jedem Interessierten an, sich kostenlos an der Entzifferung der Papyri  zu beteiligen. Dabei wird von Anfang an jeder »Stallgeruch« abgelehnt, d.h. vorhandene Griechischkenntnisse müssen gar nicht vorhanden sein; dagegen sollen durch Phantasie, Intuition und fehlendes Fachwissen einzelne Wörter der Papyri erkannt werden; diese werden dann mit einer Datenbank antiker Texte und Papyri online abgeglichen. Wenn die Trefferquote aus vermuteten und gelesenen sowie verifizierten Wörtern ausreichend zu sein scheint, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass der Papyrusfetzen erkannt werden könnte bzw. neue Papyri schon hinreichend erkannt werden, so dass eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem nun erkannten Stück in nächster Zeit zu erwarten sei.

Der Ansatz ist interessant; ob er dann aber auch zu Erfolgen führen kann, werden die ersten wissenschaftlich fundierten Ergebnisse beweisen müssen.

Damnatio memoriae im aktuellen Tagesgeschehen

Ein Artikel in der New York Times vom 14. Mai dieses Jahres greift einmal wieder aus aktuellem Anlass ein Thema auf, an dem ich seit einigen Jahren nicht als Historiker, sondern als Verleger und Setzer arbeite, nämlich dem Phänomen des erzwungenen Endes von positiver Erinnerung, der »Verdammung der Erinnerung«. Die Römer nannten das »memoria damnata« oder »abolitio nominis«; der in der Forschung und in den Medien verwendete Ausdruck der »damnatio memoriae«, der Verdammung der Erinnerung, ist hingegen ein moderner Audruck, der zwar das Gleiche bedeutet, von den Römern aber nicht verwendet wurde.

Anlaß für den Artikel in der New York Times (von Sarah E. Bond) war ein Bericht von USA Today vom 21.04.2011 (von Douglas Stanglin, USA TODAY) über die richterliche Anordnung eines Kairoer Gerichts, dass neben allen Bildern und Darstellungen der Mubarak-Familie im öffentlichen Raum ebenfalls alle an die Familie Mubarak angelehnten Titulationen ägyptischer öffentlicher Einrichtungen umbenannt werden müsse; d. h. jede Kaserne, jede Schule, jedes Museum, jede Sportstätte, jedes öffentliche Gebäude verlor seinen Namen, wenn dieser eindeutig der Familie des letzten diktatorisch herrschenden Präsidenten zugeordnet werden konnte: »… (shall) be removed from all ‹public squares, streets, libraries and other public institutions around the country›«. Ziel sei es, die vordergründige, offensichtliche, im Straßenbild jederzeit gegenwärtige Erinnerung an Hosni Mubarak auszulöschen. Nichts soll mehr an ihn und seine Familie im öffentlichen Raum erinnern, wenn dies überhaupt möglich ist angesichts der langen Regierungszeit (seit 1981).

Wichtig ist hier, dass die vordergründige Erinnerung gelöscht werden soll, mithin also per Anordnung die öffentliche DEL-Taste gedrückt wird – was nicht heißt, dass Mubarak, seine Regierung, seine Gewaltherrschaft, gestützt auf Familie, Supporters und das Militär von jetzt auf gleich aus der Erinnerung der ägyptischen, arabischen oder der Weltbevölkerung getilgt werden kann. Jedes persönliche Erlebnis mit dem Staatspräsidenten, jede präsidiale Entscheidung, die das Leben einer ägyptischen Familie geprägt hatte, kann eben nicht mit der DEL-Taste vergessen werden. Das öffentliche Vergessen, dem der Präsident und seine Familie anheim fallen sollen, beeinflusst nicht sofort die persönliche Entscheidung, Hosni Mubarak zu vergessen.

Ohne dass ich jetzt an dieser Stelle einen historischen Abriß der Geschichte der »damnatio memoriae« wiederholen möchte oder länger zurückliegende Fälle von »damnationes memoriae« aufzulisten versucht bin – dazu sei an den Beitrag in der NYT oder den lesenswerten Beitrag in der deutschen (oder in der englischen) Version der Wikipedia verwiesen –, lassen sich in den letzten Jahren verstärkt ein solches Verhalten der »Sieger« erkennen. Da sei an die schnelle Seebestattung Osama bin Ladens in der jüngsten Vergangenheit erinnert, um den Sympathisanten keinen Ort der Erinnerung und des Gedenkens zu ermöglichen, oder an den bildhaften Sturz der massiven Statue Saddam Husseins (09.04.2003, Quelle: AF News). Andere Beispiele seien die Zerstörung von Stalin-Statuen in Budapest Ende Oktober 1956 (Quelle: http://www.freedomagenda.com;) oder auch die Säuberung von Gemälden, auf denen Stalin dargestellt war, oder Retuschierungen in Fotografien, auf denen Personen eliminiert wurden, die den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen waren.

In Baghdad im April 2003

Weitere Reaktionen auf den Beitrag von Sarah E. Bond:
Powered By Osteons. A Bone Girl Blog
: http://killgrove.blogspot.com/2011/05/damnatio-memoriae-from-antiquity-to.html

Wird zu gegebener Zeit fortgesetzt

 

Schedelsche Weltchronik in der Salzwüste

Die Nachrichtenagentur AP und ihr folgend Yahoo News bringen die Schlagzeile des Wochenendes, was die Bücherwelt betrifft. In einen Antiquariat in Salt Lake City, dem Jerusalem der Mormonen, zeigte ein Besucher dem Antiquariatsbesitzer Ken Sanders unter dem Motto »Ich habe da mal ein Buch. Vielleicht haben Sie Interesse …« eine Menge loser Blätter, die nur noch schwerlich am Einband, einem Pappeinband, hingen. Als »Nuremburg chronicle« ist die 1493 gedruckte Schedelsche Weltchronik, um dieses Buch handelt es sich in Salt Lake City, in der angloamerikanischen Welt bekannt, Sie lag lange einfach nur so herum im Haushalt des Großonkels des Besuchers; jetzt wurde es wohl Zeit, das seltsame Buch, von dessen Bedeutung und Wert der Kunde allem Anschein keine Ahnung besaß, zu veräußern. Da jedoch nur noch ein Drittel erhalten geblieben ist und mehrere hundert Exemplare weiltweit verzeichnet sind, wird der monetäre Wert nicht über 50.000 US-Dollar hinausreichen. Ein komplettes Werk, am besten noch aus den Jahren der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, könnte nach Ansicht eines kalifornischen Antiquariatsbesitzers leicht die Millionen-Dollar-Grenze überspringen.

So verrückt die Geschichte vom Karsamstag klingt, bringe ich den originalen Wortlaut:Sanders beim Blättern in Schedels Weltchronik

By BRIAN SKOLOFF, Associated Press Brian Skoloff, Associated Press – Mon Apr 25, 2:35 pm ET
SALT LAKE CITY – Book dealer Ken Sanders has seen a lot of nothing in his decades appraising "rare" finds pulled from attics and basements, storage sheds and closets.

Sanders, who occasionally appraises items for PBS’s Antiques Roadshow, often employs the "fine art of letting people down gently." But on a recent Saturday while volunteering at a fundraiser for the small town museum in Sandy, Utah, just south of Salt Lake, Sanders got the surprise of a lifetime.

"Late in the afternoon, a man sat down and started unwrapping a book from a big plastic sack, informing me he had a really, really old book and he thought it might be worth some money," he said.

"I kinda start, oh boy, I’ve heard this before." Then he produced a tattered, partial copy of the 500-year-old Nuremberg Chronicle.Ein Blick auf die einzelnen Seiten ...

Da die wenigsten sich das Buch im Original leisten können, verweise ich nur auf den Nachdruck, der vor Jahren im Weltbild Verlag, passend in Augsburg beheimatet, erschienen ist. Alle Links findet das Publikum bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Hartmann_Schedel#Die_Schedelsche_Weltchronik.

 

Willkommen

Nachdem mir zuletzt das Update der Blog-Software gescheitert war, versuche ich nun, die alte Version inklusive aller bisher erschienenen Nachrichten zu rekonstruieren. Bitte haben Sie Verständnis, dass Sie bis dahin eine nur unvollkommene Blog-Seite hier vorfinden werden.

Neue Zeitschriften on line

Das französische Erziehungsministerium hat jetzt folgende Seite ins WWW gestellt: Accueil de Persée (http://www.persee.fr/changeLanguage.do?lang=en; in engl. Sprache). Damit werden wichtige Zeitschriften für die geisteswissenschaftliche Forschung on line und kostenlos bereitgestellt. Das Angebot bildet momentan nur eine Grundlage, an der Erweiterung wird gearbeitet. Für die Altertumswissesnchaften sind besonders wichtig: Bulletin de Correspondance Hellénique (bisher vom Anfang bis 1904) und die Mélanges de l’École française de Rome (alles bis zum Jahr 1999). Der Export einzelner Seiten und des gesamten Aufsatzes im PDF-Format sind möglich, wer den Beitrag nicht am Monitor lesen möchte. Ein Klick in das Bild der entsprechenden Seite öffnet einen Online-OCR-Programm mit dem erkannten Text – eine direkte Übernahme in das eigene Text- oder in ein Bibliographierprogramm sind ohne weiteres möglich.

Zuerst veröffentlicht: 10.11.2010 in blog.computus-druck.com.

Neuer Abschnitt einer alten Römerstraße – Via Flaminia vom (11.10.2010)

Unter der Piazza Venetia in Rom haben italienische Archäologen ein weiteres Stück der antiken Via Flaminia entdeckt und ausgegraben. Im Rahmen des U-Bahnausbaus im Herzen Roms sind die Fundamente der Straße, die ihren Anfang im 3. vorchristlichen Jahrhundert besitzt, gefunden worden. Dabei ist besonders wichtig, daß es sich hierbei um das Anfangsstück der antiken wichtigen Straße von Rom nach Ariminium (heute: Rimini) handelt, das bisher nur aus literarischen und epigraphischen Quellen bekannt gewesen ist. Um die Straßenführung durch den Neubahn der Metrolinie C nicht zu zerstören, soll nun der unterirdische Bahnhof an der Piazza Venezia verlegt werden. Man denkt dabei an eine Verschiebung in Richtung der Kaiserforen.

Quelle: FAZ, 22.03.2007.